Geschichte

Kultur und Technik mechanischer Musikinstrumente

Mechanische oder selbstspielende Musikinstrumente funktionieren ähnlich wie Computer. Sie haben einen Datenspeicher und eine Anlage, die gespeicherte Informationen zielgerecht umsetzen kann. Dabei ist von untergeordneter Bedeutung, ob nur ein einzelner Ton, ein Signal oder eine Tonfolge zum Erklingen gebracht wird. Zwar war der Begriff "Datenspeicher" zur Blütezeit selbstspielender Musikinstrumente - vom 17. Jahrhundert bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts - unbekannt, aber selbst das älteste Datenspeichersystem, die bestiftete Walze, arbeitet nach demselben Ja/Nein-Prinzip wie der moderne PC. Stift in der Walze bedeutet Ton, kein Stift in der Walze bedeutet kein Ton.

Glockenspiele - Ingenieurskunst der Renaissance

Schon Alexander dem Großen könnten selbstspielende Musikinstrumente zu Gehör gekommen sein, denn bereits zu seiner Zeit soll eine Form der Stiftwalze existiert haben. Selbst künstliche Singvögel wurden in antiker Literatur bereits erwähnt.

Die ältesten noch funktionierenden mechanischen Musikinstrumente stammen aus dem 14. Jahrhundert. Ab da wurden die Uhrwerke von Domen und Rathäusern mit Glockenspielen ausgestattet. Das Glockenspiel der Kathedrale von Bovais in Frankreich etwa spielt mit zwölf Glocken acht Musikstücke.

Während Kirchenglocken, weithin hörbar, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, erfreuten Musikautomaten reiche Adelige im privaten Rahmen. So auch im Augsburg des 17. Jahrhunderts, wo die mechanischen Musikinstrumente ihre erste Blüte erlebten. Meist für Adelige, schufen Uhrmacher, Tischler, Mechaniker, Orgel- und Spinettbauer aufwendige und teure Kunstwerke mit selbstspielenden Musikinstrumenten.

Flötenuhren - Musik für Wohlhabende

Mit den Flötenuhren hielten im 18. Jahrhundert mechanische Musikinstrumente Einzug in begüterte Bürgerhäuser. 1738 stellte Jacques de Vaucanson in Paris seinen automatischen Flötenspieler vor. Um möglichst lange Musikstücke spielen zu können, erfand er die spiralförmig bestiftete Walze. Er wurde so berühmt, dass Friedrich der Große ihn an die Berliner Akademie der Wissenschaften holen wollte, was der Erfinder jedoch ablehnte.
30 Jahre später gründete Friedrich der Große in Berlin Werkstätten für Flöten- und Harfenuhren. Für diese Instrumente komponierte Carl Philipp Emanuel Bach mindestens 30 Musikstücke. Auch Händel, Haydn, Mozart und Beethoven schufen Flötenuhr-Kompositionen.

Schweiz - Der Aufschwung der Spieldosenindustrie

Mitte des 18. Jahrhunderts erfand Pierre Jaquet-Droz in der Schweiz die Kurvenscheibe für Singvogelwerke. Die zuvor bekannten Vogelorgeln, die sogenannten Serinetten, enthielten kleine Metallpfeifen, die von einer bestifteten Walze gespielt wurden. Sie dienten dazu, Kanarienvögeln bekannte Schlager und andere Melodien beizubringen. Die Vogelautomaten dagegen imitierten den Vogelgesang originalgetreu. Sie waren so klein, dass man sie in vergoldete Silbergehäuse und Schnupftabakdosen einsetzte. Je kleiner der Vogel war und je naturgetreuer der Gesang von Drossel oder Nachtigall nachgeahmt wurde, desto hochpreisiger waren die Vogeldosen.

1796 erfand Antoine Favre in Genf den Stahlkamm für Spieluhren. Das war die Basis für die Schweizer Spieluhrenindustrie, die sich im 19. Jahrhundert entwickelte. Schweizer Spieldosen wurden in die ganze Welt exportiert. Ein Nachteil der Walzenspieldose war jedoch das eingeschränkte Musikrepertoire, das auf sechs bis zwölf Stücke begrenzt war. War man der Musik überdrüssig, musste man sich eine weitere Spieldose kaufen. Ein entscheidender Fortschritt stellte damit die Spieluhr mit auswechselbaren Notenscheiben dar, die Paul Lochmann 1886 in Leipzig erfand und Symphonion nannte. Mit der Gründung der Symphonion-Fabrik begann der Aufschwung der Leipziger Spieluhrenindustrie, die den Schweizern existenzbedrohende Konkurrenz machte. Durch die industrielle Fertigung wurden Plattenspieldosen zur Massenware und waren so preiswert, dass sie für ein breites Publikum erschwinglich waren. Aber schon vor dem Ersten Weltkrieg bekamen viele Spieluhrenhersteller die Konkurrenz der Schallplatte so stark zu spüren, dass sie ihre Produktion auf Grammophone umstellten.

Nahezu zeitgleich mit der Spieluhr ging die Konstruktion der ersten Orchestrien einher - ganzer selbstspielender Orchester. 1804 baute Johann Nepomuk Mälzel in Wien sein erstes Panharmonicon-Orchestrion, für das Ludwig van Beethoven 1813 das Schlachtengemälde "Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Victoria" komponierte.

Der Schwarzwald - Zentrum der Musikwerkeindustrie

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden im Schwarzwald die ersten Drehorgeln gefertigt, mit denen Musik erstmals auf die Straße kam und auch ärmere Bevölkerungsschichten erfreute.
Der Schwarzwald entwickelte sich zum Zentrum der Produktion von Flötenuhren und Drehorgeln. Dort eröffneten viele Konstrukteure Werkstätten für selbstspielende Musikinstrumente, etwa Ignaz Bruder oder Michael Welte. In der zweiten Jahrhunderthälfte entwickelte sich eine leistungsstarke Musikwerkeindustrie, die einen ständig wachsenden Markt mit den unterschiedlichsten mechanischen Musikinstrumenten versorgte. Die größten Instrumente, die hergestellt wurden, waren Orchestrien, die mehrere Meter hoch und breit und Tonnen schwer waren.
Entscheidende Impulse für den Orchestrionbau gab Josef Marie Jacquard, der bereits 1801 für Webmaschinen gelochte Kartonkarten erfand. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt Claude Felix Seytre aus Lyon ein Patent auf ein Klavierspielsystem, das nach demselben Prinzip Töne und sogar ganze Musikstücke in Kartonstreifen speichern kann. Damit war ein völlig neuer Datenspeicher entwickelt, der am Ende des Jahrhunderts die Musikwerkeindustrie revolutionierte.

Leipzig - Aufbruch ins Zeitalter der Industrie

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Leipzig zum Zentrum der mechanischen Musikwerkeindustrie in Deutschland. Paul Ehrlich, der 1876 gemeinsam mit einem Gehilfen eine Musikwerkstatt gründete, förderte die industrielle Herstellung mechanischer Musikinstrumente entscheidend. Das von Ehrlich entwickelte Ariston mit kreisrunden Notenblättern war ein so großer geschäftlicher Erfolg, dass zehn Jahre nach Firmengründung etwa 700 Arbeiter beschäftigt werden konnten. 1894 feierte die Firma die Fertigstellung des dreihunderttausendsten Aristons.

Weitere Unternehmensgründungen folgten. 1890 gründeten Gustav Bachhausen und Paul Rießner, ehemalige Mitarbeiter von Paul Lochmann, die Polyphon Musikwerke AG. Das Unternehmen wurde in den kommenden Jahren der bedeutendste Hersteller von Notenscheiben-Spieldosen. Mit der Übernahme der Firma J.M. Grob & Co. legte Ludwig Hupfeld das Fundament seiner Orchestrion-Fabrik. Sie expandierte zur größten der Welt und verfügte in ihrer Glanzzeit über eigene Klavierfabriken und ein Sägewerk. Die Leipziger Unternehmen erzielten enorme Profite. Bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts waren über 40.000 Menschen im Instrumentenbau beschäftigt. Auch in Frankreich und Amerika entstanden in dieser Zeit große Betriebe für mechanische Musikinstrumente.

Aber nicht nur die Hersteller profitierten, sondern auch die Betreiber und Verleiher von Musikautomaten. Drehorgelspieler, Schausteller und Wirte wollten mit ausgefallenen Instrumenten Gäste anlocken. Tanzhallenbesitzer waren auf eine zuverlässige, laute und prächtige Orgel angewiesen. Gute und große Instrumente galten als Publikumsmagnet ersten Ranges und spielten für die Gäste das neueste und beliebteste Musikprogramm. Dabei waren große Orchestrien sehr teuer. Doch sie spielten im wahrsten Sinne des Wortes ihr Geld ein und sorgten in den meisten Fällen für erhebliche Umsatzsteigerungen.

Erfüllung musikalischer Träume - Reproduktions-Klavier

Dennoch konnten diese Instrumente hohen musikalischen Ansprüchen nicht genügen. Erst die Entwicklung des pneumatisch gesteuerten selbstspielenden Klaviers ermöglichte das Reproduzieren von Musik mit hoher Perfektion. Die Firma Michael Welte & Söhne, mittlerweile von Vöhrenbach nach Freiburg umgezogen, brachte das Welte-Mignon-Reproduktionsklavier auf den Markt. Die Firma hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem man das Klavierspiel auf eine Papierrolle aufzeichnen und originalgetreu selbsttätig wiedergeben konnte. Alle führenden Hersteller selbstspielender Klaviere fertigten daraufhin ebenfalls Reproduktionsklaviere an.

In den folgenden Jahren spielten alle bedeutenden Pianisten - darunter viele Liszt-Schüler - und Komponisten ihre Klaviermusik in Notenrollen ein. Noch heute existieren zahlreiche Notenrollen von bedeutenden Pianisten und Komponisten der Jahrhundertwende, etwa von Debussy, Grieg, Mahler, Saint-Saens oder Richard Strauss. Auf gut restaurierten Instrumenten können diese Aufnahmen perfekt wiedergegeben werden. Für Musikwissenschaftler sind sie wichtige Quellen, die sowohl den Interpretationsstil früherer Pianisten als auch die authentische Werkauffassung der Komponisten dokumentieren. Die erste Originalkomposition "Etude pour Pianola" für ein selbstspielendes Klavier schrieb Igor Stravinsky 1917 als Auftragsarbeit für die amerikanische Firma Aeolian.

Das "achte Weltwunder" - Hupfeld Phonoliszt Violina

War schon das perfekt spielende mechanische Klavier für die Konstrukteure eine Herausforderung, versuchten sie sich am Bau von selbstspielenden Violinen. Die Firma Hupfeld stellte 1908 auf der Herbstmesse in Leipzig eine selbstspielende Violina vor, die mittels Rundbogen fünf Geigen spielte, die von einem Klavier begleitet wurden. Sie galt sofort als achtes Weltwunder. Ein Jahr später werden Instrumente gezeigt, die eine, zwei, drei oder vier Geigen spielten. Ab 1910 schließlich wurde die Phonoliszt-Violina mit drei Geigen in Serie produziert. Kein anderes mechanisches Musikinstrument wurde vom breiten Publikum so sehr bewundert wie die Violina, die bis 1930 ca. 3.500 mal gebaut wurde. Etwa 60 Original-Instrumente sind bis heute erhalten. Mit der Violina war der Höhepunkt der technischen Entwicklung erreicht.

In den zwanziger Jahren trat das Radio seinen Siegeszug an. Das bedeutete das Aus für zahlreiche Musikwerke-Fabriken. Im Zweiten Weltkrieg fielen bedeutende selbstspielende Musikinstrumente den Bomben zum Opfer. Dass selbstspielende Musikinstrumente heute wieder eine Renaissance erfahren, ist engagierten Sammlern, wie Siegfried Wendel, zu verdanken.